BU-Experte Gerhard Pscherer: Der Fluch billiger Beiträge in der BU(Z)

 

Kunden wie Versicherungsmakler wollen in aller Regel alles – und damit das Unmögliche: billigste Beiträge, eine wohlwollende Risikoprüfung und beste  Bedingungen bei einem Versicherer, der nach Eintritt des BU-Leistungsfalles schon nach kurzer Prüfung in aller Regel leistet. Dieses Wunschdenken führt häufig zu einer Bruchlandung, die die wirtschaftliche Existenz der Kunden bedroht.

 

Wie sollte es in einer Marktwirtschaft und unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten auch anders gehen? Wenn Neuverträge seit vielen Jahren mit billigsten Beiträgen und besten Bedingungen beworben und abgeschlossen werden, dann darf man sich nicht wundern, wenn sich das dann, nachdem diese Kunden Jahre später berufsunfähig geworden sind, rächt.

  • 2006 bezog Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski von der Humboldt-Universität zu Berlin wohl auch die Arglistanfechtung mit ein, als er schrieb: "Bei einer nicht gerade kleinen Gruppe von Versicherern liegt die Rücktrittsquote weit oberhalb von 30% der Leistungsfälle … die Rücktrittsquote soll dann 60% erreichen. Eine derart hohe Rücktrittsquote ist kaum mehr zu erklären." 1)
  • 2007 griff dann „Cash Special Versicherungen“ das Thema auf: „… die niedrigen Einstiegsprämien scheinen durch willkürliche Leistungsverweigerungen finanziert zu werden.“ (Seite 118)
  • Ein Beispiel eines Versicherers: 2009 informierte dieser seine BU(Z)-Kunden, dass für den Bestand sogar rückwirkend die Beiträge gesenkt wurden. "Warum? Durch den sehr guten Risikoverlauf in der Berufsunfähigkeits(-Zusatz)versicherung haben wir höhere Überschüsse erzielt." Bleibt die Frage, wie dieser "sehr gute Risikoverlauf" entstanden ist, die das Unternehmen selbst wie folgt darstellt: "… ist sicherlich unsere BU-Außenregulierung gemeint, die wir schon vor Jahren als eines der ersten Unternehmen in Deutschland aufgebaut haben und auf die wir zu Recht ein klein wenig stolz sind. … Nach einem Außenregulierungsgespräch kommt es … praktisch nie zu Streitfällen." (Brief der Versicherers vom 18.07.2007)

 

Ein Beispiel eines weiteren Versicherers:
Ebenfalls 2009 lobte das Ratingunternehmen Fitch aus Aktionärssicht die Finanzstärke einer Versicherungsgruppe "vor allem wegen des Geschäfts mit Berufsunfähigkeitsversicherungen. Dort fallen hohe Risikogewinne an, wenn weniger Kunden als geplant zum Versicherungsfall werden." Bleibt die Frage, weshalb weniger Kunden als geplant zum Versicherungsfall werden. Möglich, dass dabei auch die Außenregulierung des Versicherers eine nicht unbedeutende Rolle spielt. Solche Zusammenhänge sind nicht einfach aufzuklären und die Liste von "Maßnahmen" ließe sich lange ergänzen: So werden beispielsweise bei BU-Leistungsfällen von etlichen Versicherern gezielt "auserwählte" externe Dienstleister eingeschaltet, speziell bei Umorganisations- und Verweisungsthemen und zur Beurteilung von medizinischen Sachverhalten. Die Verbraucherzentrale NRW in Düsseldorf nennt in ihrem Ratgeber 2011 "Berufsunfähigkeit gezielt absichern" unter anderem die "Verzögerung: Durch ‚scheibchenweises‘ Anfordern der notwendigen Unterlagen wird das Verfahren häufig in die Länge gezogen. In Einzelfällen dauert es rund zwei Jahre …" (Seite 33). Und spätestens dann, wenn "dem Versicherten allmählich die Luft ausgeht", kommt das "Angebot einer Abfindung … von einigen zehntausend Euro" (Seite 36). Dabei "summieren sich die Zahlungen, wenn Berufsunfähigkeitsrenten beispielsweise 30 Jahre lang fließen, leicht auf 500.000 Euro oder mehr" (Seite 32). Im gehobenen Kundenbereich sogar deutlich mehr.

Prof. Schwintowski fasst zusammen: "Es wird vermutet, dass diese Versicherer, die sich beim Markteintritt einen Vorteil durch die besonders günstige Prämie verschaffen, ihre Fehlkalkulation durch strategische Leistungsverweigerung korrigieren. Sie rechnen möglicherweise damit, dass
allenfalls 5% aller Versicherten gegen eine Leistungsablehnung klagen."1)

An dieser Stelle dürfte es Prof. Schwintowski interessieren, dass ein Vorstand eines bedeutenden BU-Versicherers seit mindestens Mitte 2011 auf ausgewählten Veranstaltungen genau das als das Standard-Vorgehen seines Hauses darstellt.

Prof. Schwintowski setzt an der Stelle Leistungsverweigerung mit Ablehnung gleich. Das ist so nicht praxisgerecht und die "modernste" Variante einer Leistungsablehnung ist wohl die Erweiterung/Perfektionierung der drei Absätze höher stehenden Verzögerung. Das geht in etwa wie folgt: Der Versicherer signalisiert bei allen Kunden- und Maklerkontakten stets, dass er ja grundsätzlich leistungswillig sei, aber ihm zu seiner Leistungsentscheidung noch Informationen fehlen, die bitte noch beizubringen sind. Die treffen dann nach etlichen Mühen auch ein und der Versicherer stellt – nach deren längerer Prüfung – erneut fest, dass er grundsätzlich leistungswillig sei, aber zu seiner Leistungsentscheidung fehlten noch ... Das ist vergleichbar mit den allseits bekannten Telefonwarteschleifen. Für die so handelnden Versicherer ergibt sich neben der nicht fällig werdenden Leistung auch, dass der für die Deckungszusage erforderliche Streitfall nicht eintritt, falls der Kunde rechtsschutzversichert ist. So muss der Kunde auch noch sein Prozesskostenrisiko trotz Rechtsschutzversicherung selbst tragen. Sehr "smart" aus Sicht dieser speziellen Versicherer, ein nicht hinzunehmender Missbrauch aus Kunden- und Maklersicht.

Das wiegt aus Kundensicht schwer und schwer tun sich gerade diese grundsätzlich unerfahrenen und unwissenden Kunden dagegen anzugehen. Auch, weil die BU(Z)-Versicherung über die Bedingungen hinaus – und anders als in anderen Versicherungsarten – zu einem hohen Grad von Rechtsprechung geprägt ist, die die Kunden nicht kennen (können), und die auch die Anwälte zum guten Teil nicht kennen. Und auch die Versicherungsmakler nicht, die ihren Kunden im BU-Leistungsfall zur Seite zu stehen haben, damit diese die ihnen zustehenden Leistungen auch tatsächlich erhalten.

Wenn man das liest, dann kann man sich als Versicherungsmakler wie Kunde die Frage stellen, ob man sich nicht besser anderen vielleicht erquicklicheren Versicherungsarten zuwenden sollte, da dort das Missbrauchspotenzial eventuell geringer ist. Das wäre der falsche Weg.

 

BU(Z) ist nicht zu ersetzen

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung 20062) richtig herausgestellt, dass zur Sicherung des Lebensstandards die BU(Z) als einzige Versicherungsart in Betracht kommt. Die Alternativen sind, nur Sozialleistungen zu beziehen oder das eigene Vermögen – sofern überhaupt vorhanden – zu verbrauchen; beides halten die Verfassungsrichter für „nicht zumutbar“. Wir sollten nicht versuchen, schlauer zu sein. Von mehreren Ausnahmefällen abgesehen sind andere Versicherungsarten gut geeignet, die BU(Z) zu ergänzen, nicht aber sie zu ersetzen. Lösungsansätze müssen in eine andere Richtung gehen und das berücksichtigen, was Dr. Zsohar schreibt: "Neuer Wettbewerb in der BU: Der Bedingungswettbewerb ist ausgefochten. … Die Früchte des Bedingungswettbewerbs der vergangenen Jahre sind Tarife mit Top-Bedingungen, die sich jetzt der neuen Herausforderung stellen müssen: dem Preiskampf. Eine wirkliche Herausforderung, die die Spreu vom Weizen trennen wird."3) Dieser Preiskampf ist in der täglichen Praxis zu beobachten. Wenn das das Motto für künftiges BU(Z)-Neugeschäft ist, dann ist – bei weiterhin hohem Bedingungsniveau – folgendes zu befürchten: Um im Kampf um Marktanteile bestehen zu können, sehen sich auch bis heute im BU-Leistungsfall korrekt und kundenorientiert handelnde Versicherer geradezu genötigt, dem Beispiel der (noch wenigen) negativen BU-Versicherer zu folgen und die von Prof. Schwintowski vermutete "strategische Leistungsverweigerung" einzuführen. Ein flächendeckender gigantischer Missbrauch wäre die Folge und muss verhindert werden.

 

Bedingungen verschlechtern?

Aber wie verhindert man das? Die Bedingungen wieder auf breiter Front verschlechtern? Ganz sicher nicht. Hier lösungsorientiert zu denken erfordert, Neuland zu betreten und ebenso mutig wie innovativ zu sein. Im Rahmen dieses Aufsatzes kann das nicht weiter gedacht werden. Aber mal einfach "ins Blaue hinein":

Wie wäre es denn, wenn BU-Leistungsfälle zum Beispiel von einer "Unterabteilung" des Ombudsmanns bearbeitet würden? Korrekte Bearbeitung nach Bedingungen wie Rechtsprechung wäre gewährleistet und die Kunden würden generell korrekt behandelt. Jetzt würde der vorgenannte Preiskampf enden und alle Versicherer hätten entsprechend den korrekten Leistungen ihre Beiträge zu kalkulieren, da diese bei späteren BU-Leistungsfällen nicht mehr durch "strategische Leistungsverweigerung" ‚korrigiert‘ werden können. Nun könnten sich auch die unkorrekten Versicherer keinen Vorteil mehr auf Kosten der korrekt arbeitenden verschaffen. Unter heutigen Gegebenheiten sind solche Gedanken gänzlich praxisfern. Und in vergangenen Phasen unserer eigenen Geschichte wäre der Autor vielleicht wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen, oder in Frankreich unter der Guillotine, gelandet. Gerade in der heutigen globalisierten Welt und Zeit können sich Gedanken, die Neuland betreten, erfolgreich entwickeln, wenn nicht verkrustete Strukturen zu mächtig sind. Gerade in der BU(Z) brauchen wir kreativen Geist gegen den Preiskampf mit nachfolgender "strategischer Leistungsverweigerung".

 

Anmerkungen
1) Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski: Berufsunfähigkeitsversicherung – Grundfragen-Problemfelder-VVG-Reformentwurf, 20.03.2006.
2) BVerfG, Urteil vom 23.10.2006; Az.: 1 BvR 2027/02 (, Abs. 39)
3) Dr. Zsohar in AssCompact Februar 2011, Seite 44

 

Mit freundlicher Genehmigung der Pscherer GmbH, Erlangen

 

Quellen:
(1) Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 23.10.2006, Az.: 1 BvR 2027/02
(2) Gerhard Pscherer: Der Fluch billiger Beiträge in der BU(Z), AssCompact 05/2012

Weitere Beiträge zu diesem Thema:
(3) Gerhard Pscherer: Neun Gebote der BU-Beratung und deren Bedeutung, AssCompact 02/2014 
(4) Hans-Hermann Lüschen: 30 Kriterien für den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung (BU)

 

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